i met her in the record store

gute platten sind wie eine gute freundin.
ich würd den teufel tun und sie verschenken. man kann sie anfassen, bestaunen und sie machen von zeit zu zeit glücklich.
sicher, sie haben ihre macken, sie bekommen kratzer und die hülle hält nicht immer das was sie verspricht. trotzdem könnt ich nicht auf sie verzichten. alle versuche meiner musiksucht zu trotzen sind genauso erfolglos wie der versuch einer schönen und klugen frau widerstehen zu können.

leider gibt es eine menge müll auf dem markt.

1993 war es im oktober als ich in augsburg „the sound of music“ von fsk erstand – ich weiß noch genau wie ich kaum die zugfahrt nach hause erwarten konnte, wo meine schwangere freundin und eine wunderbare zeit auf mich warteten.
im trostlosen februar 1993 war es, als thomas meinecke in der augsburger spielküche, einem theater-, musik- und literaturveranstaltungsort unter der regie von peter bommas eine lesung aus „the church of john f. kennedy“ gab. ich kannte fsk nur flüchtig, aber die jahre zuvor waren mir die radiosendungen meineckes zunehmend zum pflichttermin geworden – musik zu dieser zeit fast ausschließlich aus dem alternativen underground der usa und meineckes playlisten waren das absolute gegenstück zur gängigen gefälligkeit und beliebigkeit. sie waren statement, state of the art, sie waren die ergänzung zur musik von fsk und deren spielarten diverser playlisten. in einer sendung im herbst 1992, während ich in meinem literaturberg von universität und eigenen werken zu ersticken drohte, war der us-gitarrist rainer ptacek zu gast und das gespräch zwischen meinecke und ptacek war das erfrischendste und inspirierendste was ich seit langem im radio hörte. da war noch leben in der bude. ptacek spielte ein paar tracks live im studio und ich fragte mich verzweifelt, warum ich bisher von dem noch nichts mitbekommen hatte. von da ab verpasste ich kaum einen thomas meinecke-zündfunk oder eine karl bruckmaier-sendung, obwohl ich schon anfang der 80er auf tape mitgeschnitten hatte. lustig der hinweis meineckes im ptacek-interview, die bootlegger sollten jetzt auf die starttaste drücken, rainer spiele noch eins.
die platte „the sound of music“ war der startschuss für eine neue welt. sie war der soundtrack zur zeit mit milena, die ein gutes halbes jahr später zur welt kommen sollte und natürlich mein leben komplett auf den kopf stellte. sie war einfach großartig.
man könnte darüber ein buch schreiben oder zumindest eine ganz lange verlängerung dieses beitrags. wenn ich lust dazu habe, mache ich das auch.
fürs erste reicht die short version.

FSK

Promo_First_Shake_by_Jens-Schwarz_300dpi

fsk mit anthony „shake“ shakir

hier eine gute informative band-biographie:

http://www.buback.de/fsk-bio.php

 

FSK II       FSK I

 

 

cat power

https://www.youtube.com/watch?v=sQLfPwAxUPQ

sie ist immer noch die weltmeisterin des melancholischen wahnsinns

on the edge in letzter zeit, more than ever,
wie es scheint

the covers record und moon pix zähle ich zu den besten platten
der letzten 20 jahre

jukebox und the greatest sowie you are free stehen dem nicht viel nach

ich hab ne cassette von 98 vom karl bruckmaier nachtmix „lounge konzert“
auf bayern 2 ausgestrahlt
wo sie bei friend of mine zu weinen anfängt

irgendwie fehlt ihr die bodenhaftung

https://www.youtube.com/watch?v=Bfx_81g8HkE

 

 

 

 

i wont go down under the ground

es ist ja lustig

oder traurig

aber ich:

mit mir nicht

 

https://www.youtube.com/watch?v=YwSZvHqf9qM

https://www.youtube.com/watch?v=k2sYIIjS-cQ

https://www.youtube.com/watch?v=w3FIF4JZhk4

 

so

so

so

 

Bob Dylan zu Gast in Mainz

Sgt. Dylan’s Lovely Vaudeville Band

Von Volker Breidecker

War es ein Tribut an den Regengott, der kurz vor Beginn des ausverkauften Konzerts doch noch Erbarmen hatte mit den achttausend Fans, die im Mainzer Volkspark zusammenströmten? Oder war es eine ironische Verbeugung vor dem feuchtfröhlichen Geist einer Stadt, in der fast das ganze Jahr über Kirmes und in diesen Tagen das weinselige Johannisfest gefeiert wird? Denn so wie im feuchten Dunst und unter der schweren Luft dieses Sonnabends hat man den einsamen und meist mürrischen Magier noch selten auf der Bühne erlebt: Wie mit einem kräftigen, lange nachhaltenden Tusch begann das Konzert mit der schrägen alten Jahrmarktsnummer „Rainy Day Women # 12 & 45“, zu der Dylan sein Keyboard so schwungvoll und energisch aufheulen ließ, als wolle es ein ganzes Blasorchester ersetzen. Dankbar nahm das darob aufgeheizte Publikum den bekifften Refrain zum Mitsingen an: „Everybody must get stoned!“

Über den bloßen Aufwärmer hinaus war da, als käme er von der Drehorgel eines Jahrmarktkarussells, ein besonders starker Kammerton gesetzt, der das ganze 100-Minuten dauernde Konzert über durchgehalten wurde: Als spielte hier eine perfekt aufeinander abgestimmte Zirkusband in einem verstaubten New Yorker Vaudeville Theater auf, temperamentvoll, temporeich und bei bester Laune, jedem musikalischen Witz und fröhlichem Gaukelspiel zugetan. So gelöst, heiter und schwungvoll wie hier hat man auch den Zirkusdirektor selbst, der sich diesmal auch kein Lachen  verkneifen konnte, schon lange nicht mehr gesehen: Unter gefiedertem Hut. in schwarzer Hose mit paarweise geordneten weißen Längsstreifen tänzelte Dylan mit unerhörter Verve über die Bühne, bewegte sich hin und her zwischen Keyboard, Gitarre (leider nur zu zweien seiner Songs), Standmikrophon und dem Griff zur Mundharmonia. Dieser entlockte er Töne, die je mehr der Troubadour sich auf dem metaphorisch wie musikalisch befahrenen Highway 61 dem Ursprung und Ziel sämtlicher Folk-, Blues- und Rock’n’Roll-Nummern seiner langen Karriere näherte, den Klang von Steamboats auf dem Missisippi wachriefen. Und wie aus einem melodramatischen Gangsterfilm der fünfziger Jahre – Marke „Fünf gegen Chicago“ –, gekleidet in hellbeige Anzügen über pechschwarzen Hemden und unter dunklen Hüten, kam die unter der fortdauernden Endlostour des Meisters gestählte, großartig zusammenspielende Begleitband daher. Mehr Tradition bei bestechender Originalität war nie zu hören.

Wer freilich als notorischer Dylanologe oder auch nur als einsamer Schreiberling besonders aufmerksam die Tourneestationen der letzten Tage – London, Tel Aviv, Mailand und das Schweizer Sursee  – im Netz studiert hatte, um bereits Wetten auf den Verlauf des Mainzer Konzerts abzuschließen, der stand diesmal noch mehr als sonst auf dem Kopf. Dylan zeigte sich hier nämlich nicht von seiner obligatorisch wechselnden „anderen“, sondern einmal von einer „ganz anderen“ Seite: Wie ein der Vaudeville-Bühne entsprungener Charlot, der einen noch immer unerschöpflichen Vorrat an Kunststücken – liedhaften und musikalischen – im Gepäck hat, auch wenn seine Stimme, auf wunderbare Weise wieder viel kraftvoller als in früheren Jahren, etwa so klingt, wie Kafkas Odradek, wenn dieser singen könnte. Aber klang Dylans Stimme je so viel anders?

Siebzehn seiner Songs präsentierte er in Mainz, darunter auffällig viele ausden frühen Jahren, nicht nur die Klassiker „Don’t Think Twice“ und „Like A Rolling Stone“, sondern auch rare Balladen von den ersten Alben wie „Girl Of The North Country“, „The Lonsome Death Of Hattie Carroll“ oder „Ballad of Hollis Brown“. Dylan und die Band überraschten mit neuen Arrangements, es gab keinen einzigen Durchhänger, wofür schon die immer wieder neu entflammte Improvisationslust der sechs Mannen sorgte. Mal swingten sie wie bei dem tänzerischen Song „Things have Changed“, bevor es wieder heftig und kräftig rockte unter einer famosen Version von „Summer Days“ – oder unter der Aussicht „The Levee’s Gonna Break“ der Schwung und die Tempi nochmals gesteigert wurden, bis ein fulminantes „Desolation Row“ zwischen Calypso- und Punkklängen hin und her changierte, um in eine Heavy-Metal-Version beinahe von „Thunder Over The Mountain“ überzugehen.

Folgte das Finale: Dylans altes, schwärzer und diabolischer denn je gesungenes Programmlied „Ballad of a Thin Man“, ging über in die völlig neu eingespielte Triade der gewohnten Zugaben – bis zum letzten Blasen des Winds und einem lang, lang gedehnten Sirenenruf aus Dylans Mundharmonika. Dieses Konzert wird legendär bleiben. Sein Sänger hat zwar das musikalische Ziel aller Ursprünge erreicht, ist aber noch lange nicht am Ende.

Erstveröffentlichung: Süddeutsche Zeitung vom 27. Juni 2011

 

 

back in black

muss man den wahlausgang in bayern kommentieren?

muss man wie es wiglaf droste formulierte an jeder mülltonne schnuppern?

sagenhaft wie die mutigste aller entscheidungen für eine pkw-maut für ausländer der
bayrischen landbevölkerung aus der seele spricht
wenn man das gesindel schon ertragen muss im dorf soll es wenigstens maut zahlen
ich persönlich bin ja für eine behinderten-abgabe wenn die rollstühle durch die fußgängerzone rollen
und jeder der anders denkt braucht einen chip implantiert
der genaue aufzeichnungen macht von 7 uhr früh bis 7 uhr abends was er denn denkt,
ob er vielleicht möglicherweise mal austickt ob dieser ewigen konservativen suppe
oder ob er vielleicht nicht einfach auswandern geht
diese option der rebellion hat freilich jeder bayer
viel mehr aber nicht

zwischen 7 uhr abends bis 7 uhr früh darf dann jeder machen was er will
vorausgesetzt er hat für das antiraucher-gesetz, für die pkw-maut für asylanten
und für das horst seehofer-ermächtigungs-gesetz unterschrieben
in dem steht dass ein bayrischer ministerpräsident rumvögeln darf wie er will
der ministrant aber beichten muss

es war vor vorneherein klar wie die wahl ausgeht
die prozentzahl der csu entspricht in etwa meinen erwartungen
und fühlt sich so an wie ein langweiliges kaffeekränzchen im altersheim
sich eine talkrunde danach mit günter jauch noch anzusehen: so boring wie garmisch partenkirchen
wenn die saupreisen einströmen

was mich noch brennend interessieren würde wie die homosexuellen im münchener glockenbachviertel
im einzelnen abgestimmt haben, warum alice schwarzer schon nicht aufgrund ihres namens seehofer demnächst
um den hals fällt und wieso christian ude sich nicht entblödet auf einen wahlerfolg seiner spd hinzuweisen
wenn man bei 20% umeinanderkrebst
wie ein schlaganfallgeschädigter
und auch so redet

was ist das gute an bayern? die natur, die berge, der dialekt, die grundsoliden freistaat-finanzen
und hans söllner
ein land wo immer eine hand die andere wäscht und selbst ein
ARSCHGLATTER schüttel-schorsch im nirwana verschwinden muss
weil ein seehofer keine anderen götter neben sich gelten lässt
und die grünen oder die linken nur marginale phänomene sind
die irgendwie halt auch dazughern

 

opposition in bayern ist eigentlich ein super-job:
man hat ganz viel zeit sich in ruhe dinge zu überlegen die nie eintreten werden
und alle verbesserungsvorschläge werden irgendwann von der csu absorbiert und nivelliert
mit demokratie hat das so viel zu tun wie die ddr
und wer mich eines besseren belehren möchte kann es gerne tun
man weiß ja: es war nicht alles schlecht in der ddr

man kann in diesem land gut schlafen wenn man kein asylbewerber ist
und angst haben muss „endlich aussighaut zu werden“
bevor man sich selber das leben nimmt weil man das nicht-dazugehören-dürfen
einfach nicht mehr aushält
und man kann gut schlafen wenn man rechtzeitig in den plattlerverein eingetreten ist

für mehr steht die csu leider nicht, das ist die wahrheit

was verleitet eigentlich hübsche junge dinger in diese partei einzutreten
und dann am wahlabend mit diesem saublöden dirndl-scheiß rumzustehen
wie vor 100 jahren die omma?
man weiß es nicht, es ist halt megacool wahrscheinlich
und: wie geil is das denn

und: hast du mich schon auf dem smartphone?
ja, laptop und lederhose und luder in landshut,
des san mir, da sin mer her, do sann mer dahoam

hat das nicht schon konstantin wecker gesagt?

dabei kann ich die csu nicht einmal mehr hassen, das ist das erschreckende,
ihr politikbetrieb funktioniert wie immer einfach 1a

dumm nur dabei, dass schwächere und verlierer und außenseiter immer das sind was sie eben zu sein haben
weil sonst die mär vom immerwährenden wirtschaftswachstum nicht funktioniert
und weil man eben seinen dorftrottel braucht auf dem man rumhacken kann

wer einmal auf dem oberpeißenberg bei schongau gewesen ist im wirtshaus
und dort die ungefähr 25 franz-josef strauss-porträts an den wänden bewundern durfte
der braucht keinen geschichtsunterricht mehr
eine gegend in der wie franz dobler einst schrieb nur noch einzeller leben würden
wenn die lichtverhältnisse dort so wären wie die politischen

das schlimme ist, dass man manchmal wirklich das gefühl hat dass es genauso ist

das eichhörnchen hinter gittern geht jetzt nüsse sammeln
es könnte ein harter winter werden

 

Neil Young, Crazy Horse – Walk Like A Giant – Madison Square Garden

das ist also die psychedelische pille, die uns onkel neil verabreicht.
mit das irrste was man so sehen kann.

 

https://www.youtube.com/watch?v=rKlEFx2O0QE

 

ein hoch auf onkel neil und sein verrücktes pferd.

ein hoch auf die immerwährende männerfreundschaft,
die keine shampoowerbung der welt, kein noch so neuer musikstil, keine krise erschüttern kann.
hier wird noch gerockt und gearbeitet.
und am schluß das pferd zurück in den stall geschickt und gepflegt bis zum nächsten ausritt.

 

https://www.youtube.com/watch?v=QLMELJciRMI

 

long may they run

 

2012 MusiCares Person Of The Year Tribute To Paul McCartney - Concert  Neil Young And Crazy Horse In Concert - Albuquerque, NM

Te Recuerdo Amanda

ich weiß noch gut, wo ich war und was ich getan hab an jenem spätnachmittag vor 12 jahren.
wie so viele andere.
ich saß vorm pc und hab mir überlegt, wie ich meine nächsten kurzgeschichten schreiben sollte. ich hab über einen roman nachgedacht. den roman hat es nie gegeben.

lustigerweise hab ich an jenem spätnachmittag bruce springsteen gehört und danach auf radio umgestellt, zündfunk bayern 2. mein lieblingssender. ich hörte nebenbei irgendwas von new york und flugzeugen. es war ein ruhiger schöner septembertag und es ging mir gut. dann musste ich den fernseher einschalten, vor dem ich dann bis um ca. 12 uhr – wie so viele andere – sitzen musste, um nur ja nix zu verpassen. irgendwann merkte ich, wie es mit meiner stimmung stündlich bergab ging. ich saß da wie paralysiert und fühlte mich elend, um nicht zu sagen depressiv.

ich wünschte, es hätte diesen tag nie gegeben. und ich empfand keine häme von wegen „da erwischt es endlich die imperialistischen usa“. das war was anderes. das war klar ein antiamerikanischer anschlag mit antisemitischem Hintergrund und er war zutiefst perfide und feige. ich kann nicht sagen, dass die welt seither besser geworden ist. es gibt klar ein vor und ein nach dem 11.9. und wer das leugnet ist bescheuert.
ich saß also da, hörte bruce springsteen und stunden später standen mir die tränen in den augen wegen all diesem mist. mir war diffus klar, was das bedeuten würde. krieg und das für lange zeit.
mit diesem anschlag sind viele fürchterliche dinge gerechtfertigt worden und mir kommt es so vor, als ob man den bürgern eines jeden landes heutzutage ganz einfach und easy angst einjagen kann. angst ist das vorherrschende gefühl, das die leute antreibt und ich hab gelernt, dass angst ein schlechter ratgeber ist.

oft hab ich mir gewünscht, es hätte diesen tag gegeben, aber nicht mit diesem ende. ich hab es mir oft vorgestellt.
nachstehenden text schrieb ich damals so zusammen, um diese andererseits dumpfe patriotenstimmung – schröders legendäres wort von „uneingeschränkter solidarität“, ein irrsinn ohnegleichen – zu relativieren.

ehrlich gesagt weiß ich manchmal selbst nicht, was ich zu diesem 11. september sagen soll. ich hätte meiner tochter eine schönere und friedlichere zeit gewünscht als diesen horror mit 9 jahren miterleben zu müssen und mit meiner ehe ging es in den folgenden jahren bergab. ich saß zu oft da und grübelte über dinge, über die ich früher nicht gegrübelt hätte.

am tag vorher hatte ich mir dylans „love and theft“ gekauft und ich war beinahe wütend, dass mir die freude über das album am tag darauf vorübergehend verging. „sky’s full of fire“ heisst es in „mississippi“ und natürlich war man dazu verdammt, die dazugehörigen bilder für immer in verbindung zu bringen. „love & theft“ erschien in den usa am 11.9.
es war dann die zeit der meinungen und kommentare, oft ein geradezu unglaublicher schwachsinn, was da alles abgesondert wurde. klaus theweleits buch zum „verschwinden der realität“ war noch das beste, was man mitnehmen konnte. zeitungslesen ersetzte irgendwie den roman, es erschien wirklich so, als ob die realität die fiktion endgültig überholt hatte. oder umgekehrt.

ist es nicht so, dass unsere smartphone- und handyrealität etwas von kindischem science-fiction hat? fast noch kindischer als star trek.

 

 

Am 11. September

 

„Von mir aus gesehen begann der 11. September wie ein ganz gewöhnlicher Tag“, meint Joan Turner, eine ehemalige Tänzerin aus England, verheiratet bis zu diesem Tag mit Victor Jara, dem chilenischen Sänger, Liederschreiber, Theaterregisseur und Professor an der Theaterschule der Universität Chile.

Lassen wir Joan Turner weitererzählen:

„Ich denke, jeder, der erlebt hat, was ich Chile am 11. September geschah, und so aus der Nähe gesehen oder gefühlt hat, was Faschismus wirklich bedeutet, dessen Leben, denke ich, ändert sich vollkommen. Meins hat sich jedenfalls geändert. Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich vor dem 11. September war. Ich glaube, das einzige, was ich tun kann, ist, den Leuten weiter von unseren Erlebnissen, auch den persönlichsten, erzählen, so dass sie wirklich verstehen können, was so etwas für Menschen bedeutet, und ich denke, dass ich da im Namen aller Chilenen spreche, die stumm sind, die nicht für sich selbst sprechen können. Victor war der Sohn eines chilenischen Landarbeiters und einer chilenischen Volkssängerin….seine Mutter spielte Gitarre und zog herum und sang bei Erntefesten und Trauerfeiern. Chilenische Bauern feiern ein Fest, wenn jemand stirbt. Seine Familie war sehr, sehr arm. Sie lebten auf einem dieser Riesengüter, auf denen die Bauern unter feudalen Verhältnissen lebten. Sie bekamen praktisch überhaupt keinen Lohn – sie wurden in Naturalien bezahlt – mit Mehl und Früchten. Sehr wenig Früchten. Jede Familie hatte eine Art Haus aus Adobe, das ist Lehm und Stroh. Eine von Victors frühesten Erinnerungen ist, wie er aus dem Bett gejagt wird, um seine Füße im Graben vor dem Haus zu waschen. Um Brennholz zu sammeln, Feuer anzumachen und Wasser für eine Art Kräutertee zum Frühstück zu machen: Victor erinnert sich, dass es einmal im Jahr Fleisch gab. Das war ein Fest! Eine Fiesta!“

 

1968 noch starb in Chile alle 36 Minuten ein Kind vor Hunger. Von 1000 Babies starben 86 im ersten Lebensjahr. Victor Jara war eines der wenigen begünstigten Kinder aus Landarbeiterfamilien, das eine richtige Schulbildung bekam. Er konnte die Universität besuchen und studierte Theaterwissenschaft.

Die chilenischen Arbeiter und Landleute forderten wie allen anderen in Lateinamerika Freiheit von Hunger und Arbeitslosigkeit; und Unabhängigkeit von fremder Herrschaft. Im Dezember 1969 schlossen die Sozialisten, die Kommunisten, die Radikalen und drei andere politische Parteien ein Bündnis – die Unidad Popular. Ihr Kandidat für die Präsidentschaftswahlen von 1970 war der Arzt Dr. Salvador Allende. Victor Jara war einer seiner herausragenden Anhänger.

Allende gewann 1970 die Wahlen in Chile.

Von da ab versuchten rechtsgerichtete Kräfte, die Wahl von Präsidenten Allende durch den chilenischen Kongress zu verhindern und ermordeten den Oberbefehlshaber des Heeres, General René Schneider. Offensichtlich hat Schneider sich dem Drängen der USA widersetzt, einen Militärputsch durchzuführen. Das Kommando, das ihn auf dem Gewissen hat, wurde von der CIA organisiert.

Allende wurde am 4.11. 1970 zum Präsidenten gewählt.

Joan Turner: „Ich glaube, das was irgendwie eine vollständige Veränderung in den menschlichen Beziehungen. Es war eine Veränderung, weil wir fühlten, dass zum erstenmal in Chile die Arbeiterklasse präsent war. Man vernahm ihre Stimme. Sie waren überall. Das war wundervoll – etwas, das meiner Meinung nach niemals ausgetilgt werden kann. Ich erinnere mich, dass Victor ein Lied schrieb, in dem es hieß: „Früher, wenn du Geld hattest, dann nannten sie dich einen Herrn, jetzt genügt es zu arbeiten, um companero genannt zu werden.“ Und dieses Wort companero, glaube ich, hatte eine besonderen Sinn für alle chilenischen Arbeiter, denn es bezog sich auf jemanden – jemanden, der an deiner Seite arbeitete, der für dasselbe Ziel arbeitete, für das du arbeitetest. Das war mehr als ein Freund und es war mehr als ein Arbeitskamerad.

Chile war eines der letzten südamerikanischen Länder, das von den spanischen Eroberern auf ihrer Suche nach Land und Geld im 16. Jahrhundert kolonisiert wurde.

Als der chilenische Nationalismus sich im 19. Jahrhundert durchsetzte, stand England den Nationalisten mit Rat und Tat bei und verkaufte ihnen Waffen. Nach der Unabhängigkeit hielt die englische Industrie ihren Einzug und Chile wurde im Prinzip eine Satellit der englischen Wirtschaft. Aus den Gewinnen der Salpeterminen wurden in London Vermögen gemacht. Erst im Ersten Weltkrieg ging die englische Vorherrschaft zurück, und die Vereinigten Staaten traten an ihre Stelle. Die International Telephone and Telegraph Corporation erwarb ihre chilenischen Tochtergesellschaften von den Engländern. ITT zog enorme Gewinne aus dem Land und suchte die Hilfe der CIA, um Allende zu hindern, sein Amt anzutreten und ihre Macht zu beschneiden. Präsident Allende ging vor die Vereinten Nationen und klagte die ausländische Intervention in chilenische Angelegenheiten an.

Als Allende trotz aller Behinderungen 1973 mit mehr Stimmen als bei der ersten Wahl wiedergewählt wurde, wurde die offenkundige Zusammenarbeit von Chilenischem Big Business und CIA zu einer Art Terrorgemeinschaft. Von da ab gab es Sabotageakte, Bombenattentate und die reaktionäre Gewalt schwappte auf die ganze Stadt Santiago de Chile und das ganze Land über.

Am 11. September 1973 intervenierten rechte Gruppen der Streitkräfte unter kaum verdeckter Mithilfe des CIA. Um 3 Uhr an diesem Tag hatten sie die Macht an sich gerissen und Allende war tot. Es kam zu einer siebzehnjährigen Gewaltherrschaft von General Pinochet. Den Anfang macht die Ermordung tausender linker Aktivisten, Gewerkschafter werden von Todeskommandos gejagt, gefoltert und umgebracht. Am 15. September 1973 wird Victor Jara unter den Augen tausend anderer Mitgefangener im Fußballstadion von Santiago umgebracht, nachdem sie ihn vorher gefoltert und danach beide Arme gebrochen hatten. Jara jedoch hörte nicht aufzusingen und wurde von MG-Salven getötet.

Henry Kissinger kommentiert das Vorgehen seiner US-Regierung so:

„Ich sehe nicht ein, dass wir zulassen sollten, dass ein Land marxistisch wird, nur weil die Bevölkerung unzurechnungsfähig ist.“

 

 

Ich denke an dich, Amanda,
wie du auf regennasser Straße
in die Fabrik liefst,
in der Manuel arbeitete.
Das breite Lachen,
der Regen im Haar
machte gar nichts,
du wolltest dich mit ihm treffen,
mit ihm, mit ihm, mit ihm,
der in die Berge ging,
der niemanden etwas zu Leide tat,
der in die Berge ging
und in fünf Minuten
sein Ende fand.
Die Sirene heult,
zurück zur Arbeit,
viele kehrten nicht wieder,
auch der Manuel nicht.“

 

Te Recuerdo Amanda, Victor Jara

 

PS:

Am 12. September 2001, einen Tag nach den Terroranschlägen auf New York, meldet die Süddeutsche Zeitung auf Seite 10:

„Kissinger wegen Mordes an General angeklagt – Als Chiles General Augusto Pinochet 1973 sein 17-jähriges Terrorregime begann, wurde die Trennlinie von Gut und Böse endgültig gezogen, und die USA fanden sich auf der falschen Seite wieder. Die Regierung Richard Nixons hatte sich drei Jahre vorher einen Militärputsch gegen den neu gewählten Linken Salvador Allende in jedem Fall gewünscht und sich alleine damit bis heute den Fragen von Historikern, Politikern und Rechtsanwälten ausgeliefert. In den letzten Tagen allerdings hat die Vergangenheitsbewältigung eine neue Qualität erreicht, denn es geht nicht mehr allein um die Regierung Nixon, die einen gewählten Präsidenten Chiles ans Militär verratene wollte, die Protagonisten selbst sollen nun zur Rechenschaft gezogen werden: Henry A. Kissinger, damals Sicherheitsberater Nixons und Richard M. Helms, damals Geheimdienstchef, um die wichtigsten zu nennen. Der Vorwurf lautet: Beihilfe zum Mord an einem treuen General, der zu seinem Präsidenten und zur Demokratie gehalten hat.

Kläger sind die Angehörigen des ermordeten Generals Rene Schneider. Sie fordern mehr als drei Millionen Dollar Schadenersatz. Schneider wurde Ende 1970 zum Problem, als er sich den Putschplänen des Militärs gegen den gerade gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende widersetzte. Am Morgen des 22. Oktober wurde Schneider auf dem Weg zur Arbeit von den Entführern angehalten, sein Auto wurde umzingelt, die Scheiben neben den Rücksitzen eingeschlagen, als Schneider seine Waffe zog, um sich zu verteidigen. Die Entführer schossen. Drei Tage später starb Schneider in einer Militärklinik.

Kissinger bestreitet jede Verbindung der US-Regierung zu dem Mord. In seiner 1979 veröffentlichten Autobiographie schreibt er, die Entführer hätten „in eigener Sache, in Missachtung von CIA-Empfehlungen und ohne unser Wissen gehandelt“. Aus Geheimdokumenten des Staates, die vom Geschichtsinstitut National Security Achive veröffentlicht wurden, soll aber hervorgehen, dass der Geheimdienst 35 000 Dollar an diejenigen gezahlt hat, die wegen Schneiders Tod im Gefängnis saßen. Kissinger hat 1975 in einem Untersuchungsverfahren des Senats gesagt, am 15. Oktober 1970 seien alle Kontakte mit den Putschisten abgebrochen worden. Der Trumpf der Kläger aber soll ein Telegramm sein, dass am 16. Oktober vom Geheimdienste in Washington an die Außenstelle in Chile ging: „Es bleibt die Politik der US-Regierung, einen Putsch in Chile zu stützen.“

 

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Alben für die Ewigkeit: Fellow Travellers – Things And Time

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eine sensation damals, erschienen auf dem bonner normal records label. country & reggae & dub together. jeb loy nichols und seine fellow travellers (deutsch: mitreisender, in der mcmarthy-ära in den usa für jeden sympathisanten der linken benutzt) waren anfang der 90er-jahre in der alternative-country-szene um das okra-label aufgetaucht. die politische ausrichtung war durch den bandnamen vorgegeben – man konnte intelligenz erwarten. nach dem 92er werk „just a visitor“ kam „things and time“ im spätsommer 93 wie ein paukenschlag – das werk weist von anfang bis ende keinen durchhänger auf, alle 16 songs wirken wie aus einem guss.
townes van zandt soll einer deutschen zeitung damals gesagt haben:

“I like this very much. It’s very special. They’re doing something independent. The drummer and the keyboard are playing great together and the woman’s harmony is perfect. The guy’s singing with a voice I never heard before…”

erstaunlich ist, wie „things and time“ die 20 jahre bis heute überstanden hat: ab und zu fällt sie mir wieder ein, an grauen sonntagen und vom ersten ton an ist die stimmung eine andere wie vorher. jeb loy nichols singt wie alle großen songwriter über die liebe, übers älterwerden, über freunde und freundinnen und die melancholische grundstimmung ist durch den unwiderstehlichen reggae-groove, die vereinzelten rap-einsprengsel und die dub-effekte genial konterkariert.

in dem augsburger fanzine-trash nr. 8 ziert die heftmitte ein großartiges s/w-foto der band nach einem live-auftritt in der münchner kulturstation. ich selber hab die band ende 93 in geislingen an der steige in der rätschenmühle erlebt, wo unter anderem auch howe gelb, die go-betweens oder lambchop denkwürdige, unvergessene konzerte in kleinem, wunderbar intimen rahmen gaben. 2006 sah ich nichols solo in nürnberg am sonntagnachmittag beim bardentreffen. seinen charme und sein charisma hat er bis heute nicht verloren: eine ausnahmeerscheinung, ein mensch.

visit his website http://www.jebloynichols.co.uk/

 

Jeb_loy_nichols_fellow_travellers

 

https://www.youtube.com/watch?v=AxiVirFkHT4