es ist ja lustig
oder traurig
aber ich:
mit mir nicht
https://www.youtube.com/watch?v=YwSZvHqf9qM
https://www.youtube.com/watch?v=k2sYIIjS-cQ
https://www.youtube.com/watch?v=w3FIF4JZhk4
so
so
so
Bob Dylan zu Gast in Mainz
Sgt. Dylan’s Lovely Vaudeville Band
Von Volker Breidecker
War es ein Tribut an den Regengott, der kurz vor Beginn des ausverkauften Konzerts doch noch Erbarmen hatte mit den achttausend Fans, die im Mainzer Volkspark zusammenströmten? Oder war es eine ironische Verbeugung vor dem feuchtfröhlichen Geist einer Stadt, in der fast das ganze Jahr über Kirmes und in diesen Tagen das weinselige Johannisfest gefeiert wird? Denn so wie im feuchten Dunst und unter der schweren Luft dieses Sonnabends hat man den einsamen und meist mürrischen Magier noch selten auf der Bühne erlebt: Wie mit einem kräftigen, lange nachhaltenden Tusch begann das Konzert mit der schrägen alten Jahrmarktsnummer „Rainy Day Women # 12 & 45“, zu der Dylan sein Keyboard so schwungvoll und energisch aufheulen ließ, als wolle es ein ganzes Blasorchester ersetzen. Dankbar nahm das darob aufgeheizte Publikum den bekifften Refrain zum Mitsingen an: „Everybody must get stoned!“
Über den bloßen Aufwärmer hinaus war da, als käme er von der Drehorgel eines Jahrmarktkarussells, ein besonders starker Kammerton gesetzt, der das ganze 100-Minuten dauernde Konzert über durchgehalten wurde: Als spielte hier eine perfekt aufeinander abgestimmte Zirkusband in einem verstaubten New Yorker Vaudeville Theater auf, temperamentvoll, temporeich und bei bester Laune, jedem musikalischen Witz und fröhlichem Gaukelspiel zugetan. So gelöst, heiter und schwungvoll wie hier hat man auch den Zirkusdirektor selbst, der sich diesmal auch kein Lachen verkneifen konnte, schon lange nicht mehr gesehen: Unter gefiedertem Hut. in schwarzer Hose mit paarweise geordneten weißen Längsstreifen tänzelte Dylan mit unerhörter Verve über die Bühne, bewegte sich hin und her zwischen Keyboard, Gitarre (leider nur zu zweien seiner Songs), Standmikrophon und dem Griff zur Mundharmonia. Dieser entlockte er Töne, die je mehr der Troubadour sich auf dem metaphorisch wie musikalisch befahrenen Highway 61 dem Ursprung und Ziel sämtlicher Folk-, Blues- und Rock’n’Roll-Nummern seiner langen Karriere näherte, den Klang von Steamboats auf dem Missisippi wachriefen. Und wie aus einem melodramatischen Gangsterfilm der fünfziger Jahre – Marke „Fünf gegen Chicago“ –, gekleidet in hellbeige Anzügen über pechschwarzen Hemden und unter dunklen Hüten, kam die unter der fortdauernden Endlostour des Meisters gestählte, großartig zusammenspielende Begleitband daher. Mehr Tradition bei bestechender Originalität war nie zu hören.
Wer freilich als notorischer Dylanologe oder auch nur als einsamer Schreiberling besonders aufmerksam die Tourneestationen der letzten Tage – London, Tel Aviv, Mailand und das Schweizer Sursee – im Netz studiert hatte, um bereits Wetten auf den Verlauf des Mainzer Konzerts abzuschließen, der stand diesmal noch mehr als sonst auf dem Kopf. Dylan zeigte sich hier nämlich nicht von seiner obligatorisch wechselnden „anderen“, sondern einmal von einer „ganz anderen“ Seite: Wie ein der Vaudeville-Bühne entsprungener Charlot, der einen noch immer unerschöpflichen Vorrat an Kunststücken – liedhaften und musikalischen – im Gepäck hat, auch wenn seine Stimme, auf wunderbare Weise wieder viel kraftvoller als in früheren Jahren, etwa so klingt, wie Kafkas Odradek, wenn dieser singen könnte. Aber klang Dylans Stimme je so viel anders?
Siebzehn seiner Songs präsentierte er in Mainz, darunter auffällig viele ausden frühen Jahren, nicht nur die Klassiker „Don’t Think Twice“ und „Like A Rolling Stone“, sondern auch rare Balladen von den ersten Alben wie „Girl Of The North Country“, „The Lonsome Death Of Hattie Carroll“ oder „Ballad of Hollis Brown“. Dylan und die Band überraschten mit neuen Arrangements, es gab keinen einzigen Durchhänger, wofür schon die immer wieder neu entflammte Improvisationslust der sechs Mannen sorgte. Mal swingten sie wie bei dem tänzerischen Song „Things have Changed“, bevor es wieder heftig und kräftig rockte unter einer famosen Version von „Summer Days“ – oder unter der Aussicht „The Levee’s Gonna Break“ der Schwung und die Tempi nochmals gesteigert wurden, bis ein fulminantes „Desolation Row“ zwischen Calypso- und Punkklängen hin und her changierte, um in eine Heavy-Metal-Version beinahe von „Thunder Over The Mountain“ überzugehen.
Folgte das Finale: Dylans altes, schwärzer und diabolischer denn je gesungenes Programmlied „Ballad of a Thin Man“, ging über in die völlig neu eingespielte Triade der gewohnten Zugaben – bis zum letzten Blasen des Winds und einem lang, lang gedehnten Sirenenruf aus Dylans Mundharmonika. Dieses Konzert wird legendär bleiben. Sein Sänger hat zwar das musikalische Ziel aller Ursprünge erreicht, ist aber noch lange nicht am Ende.
Erstveröffentlichung: Süddeutsche Zeitung vom 27. Juni 2011