what a wonderful world

 

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another self portrait by bob dylan out on august 27th

http://vimeo.com/72494889

self portrait von 1970, ein album, zu dem mir immer einfiel: woher kommt diese gelassenheit? so relaxt, so easy, so leicht.

ich hab die platte im jahr 2000 folgendermaßen rezensiert

Bob Dylan:

Self Portrait

(Columbia 1970)

     Im Sommer 1970 erschienenes Doppelalbum, welches vorwiegend Cover-Versionen einiger Country- und Rockstandards enthielt – “Blue Moon”, “The Boxer”, „Early Mornin’ Rain“ – sowie einige neue und einige alte Dylan-Songs, welche von dem Isle Of Wight-Konzert 1969 mit The Band stammten. Insgesamt sicherlich eine der unwichtigsten und schwächsten Dylan-Platten, für die er zu damaliger Zeit herbe Kritik einstecken musste

(„Was soll dieser Scheiß?“ war nur eine der Überschriften im Rolling Stone), doch ähnlich wie „Nashville Skyline“ enthält dieses Album soviel gute Musik, dass es in keiner Sammlung fehlen darf. Dylan singt zweifelsohne bei einigen Liedern so was von unambitioniert und scheinbar gleichgültig, dass man seine Stimme im Vergleich zu allen seinen großen Platten und seinen tollen Konzerten kaum wiedererkennt, doch kaum ein Song ist vom Gesamtkonzept wegzudenken.

Im Großen und Ganzen wollte Dylan mit „Self Portrait“ wahrscheinlich einfach nur eine Art persönliches amerikanisches Countrysong-Album machen, welches eine Mischung aus krudem und erstklassigem Material war. Dazu zählt schon der Eröffner „All The Tired Horses“, welcher nur die beiden, auch noch von zwei Frauenstimmen gesungenen Zeilen „All the tired horses in the sun/How am I supposed to get any ridin’ done?“ enthält. Aus „ridin’“ könnte man nicht nur phonetisch auch „writin’“ machen, was sicherlich auch zu Dylans damaliger Schreibschwäche passt. Trotzdem, „Days Of 49“, „Little Sadie“, “Copper Kettle (The Pale Moonlight)“, “Gotta Travel On” sowie die beiden Versionen von “Alberta” sind beste Dylansongs mit engagiertem Gesang. „The Boxer“ von Simon & Garfunkel, von Dylan in einer merkwürdigen Version mit zwei übereinandergelegten Stimmen (die eine die seiner Country-Phase, die andere eindeutig die des ganz jungen, nasal klingenden Folkies) aufgenommen, kann man entweder lächerlich oder obskur finden – auf jeden Fall ist es einmalig. Das Ganze abrunden sollten wohl die Live-Takes des Konzertes mit The Band, wobei die verwendete Fassung von „Like A Rolling Stone“ von 1969 so daneben ist, wie es kaum noch „besser“ geht: Dylan vergisst mehrmals den Text, der im Rhythmus völlig veränderte Song wird runtergeleiert wie ein Kirmesschlager und das Zusammenspiel von Sänger und Gruppe passt überhaupt nicht – jeder andere hätte diese Aufnahme weggeschmissen, aber vielleicht wollte Dylan damit nur eines ausdrücken: wenn von mir sowieso jede Aufnahme (wie es ja seit den legendären „Basement Tapes“ mit beinahe jedem Dylan-Konzert geschah) als Bootleg in Umlauf gebracht wird, dann veröffentliche ich eben auch, was ich will – eine Maxime, die Dylan in der zweiten bzw. mittlerweilen dritten/vierten? Phase seiner Karriere noch öfters beherzigen sollte. „Self Portrait“ ist einfach als das zu nehmen, was es ist: als der Spaß des selbstgemalten Clowns auf dem Cover.

 

Pictures taken on location in London, Stoke Newington, September 2007

 

 

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the beat goes on

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William S. Burroughs am 31. Mai 1997 in seinem Tagebuch:

„Newt Gingrich, dieser schmierige Salamander. Der Dumpfmann werde bis zum Jahr 2001 ein drogenfreies Amerika schaffen. Was für eine öde Aussicht! Gilt natürlich nicht für Alkohol und Zigaretten. Da wird mit steigendem Konsum gerechnet. Wie erreicht man einen drogenfreien Zustand? Ganz einfach. Die Drogenrezeptoren im Gehirn kann man chirurgisch entfernen. Wer den Eingriff verweigert geht aller Rechte verlustig. Bekommt keine Wohnung vermietet, wird in Restaurants und Bars nicht mehr bedient. Kein Reisepaß, keine Leistungen von der Sozialversicherung, kein Krankheitsschutz, kein Recht auf Erwerb und Besitz einer Schußwaffe.

Wie ich sie alle hasse, die so versessen sind auf Konformität. Was soll denn dabei herauskommen? Man stelle sich die banale Öde eines drogenfreien Amerikas vor. Keine Kokser mehr, nur noch brave, saubere wohlanständige Amerikaner von Ozean zu glitzerndem Ozean. Jeder Widerspruch ausgetrieben und ausgemerzt wie ein Furunkel. Keine Slums. Keine verstohlenen Aktivitäten einer Unterwelt. Kein gar nichts. Jeder Blick auf die Straße eine knallharte Abschreckung. Niemand riskiert noch, einen Brief zu schreiben.

Totale Konformität. Was soll daran gut sein? Was wird aus dem unverwechselbaren Eigenen? Aus der Persönlichkeit? Aus dir und mir?“

 

(SZ Magazin, 10.10. 1997)

 

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Written In My Soul

 

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das hier erst mal die lose fortsetzung der glitterhouse-kolumne aus den jahren 2000 und 2001.

die aufwärmrunde an diesem 22.8. 2013 besteht aus eine der ersten kolumnen von 2000.

siehe unten. „korrekturen“ der alten kolumnen wird es keine geben, also bestehende „fehler“ bleiben stehen. möglicherweise gibt’s ergänzungen und fußnoten, aber das weiß ich noch nicht.

 

aktuelles wird es hier so oft wie möglich geben.

hab damals gemerkt, wie es mir zunehmend spaß machte in allen revieren zu hause zu sein. damit meine ich nicht nur musikstile, sondern überhaupt alle „genres“: kunst, politik, techno, film, alter rhythm’n’blues, kinderliedercassetten meiner tochter, fotos, zeitungsartikel usw.

schwerpunkte lassen sich meistens nicht vermeiden, aber wem’s zu einseitig ist kann ja weiterklicken – möglichkeiten gibt’s ja genug. werde natürlich gucken, dass die vielfalt oberstes gebot ist.

der blog insgesamt soll vielleicht sowas wie ne zeitreise sein, die keinen langweilt.

 

Written In My Soul

Februar 2000

Im Niemandsland

 

Als ich Dock Boggs’ Foto in der „Anthology Of American Folk Music“ zum ersten Mal sah, konnte ich mir ganz gut vorstellen, was das für ein Mann und für Zeiten gewesen sein mussten: mit dem Banjo auf dem Knie und dem Revolver in der Schublade auf sich allein gestellt, in einer Welt voller unberechenbarer Glücksritter, heilloser Outlaws und skrupelloser Kohleminen-Besitzer, die keine Gelegenheit ungenutzt ließen, Profit aus der unsteten wirtschaftlichen Lage der Arbeiter zu schlagen, zu denen notgedrungen auch Boggs gehörte. Nachdem er es mit der Musik versucht hatte – was heißt, dass er zwischen 1927 und 1929 ein paar Songs aufnahm, die heute zum knochenhärtesten und brutalsten Material gehören, was die amerikanische Popgeschichte aufzuweisen hat -, war schnell klar, dass aus dem Musiker wieder das wurde, wovor später ein Bob Dylan sein Leben lang wegrannte: ein wenn auch nur unwillig funktionierendes Mitglied einer amerikanischen Bergarbeiter-Gesellschaft, die es sich nicht leisten konnte, Songs über Mörder und Säufer, dargebracht von einem in ihren Augen offensichtlich leicht Wahnsinnigen, in ihren gemeinsamen Kirchen-Kanon zu integrieren. Dock Boggs arbeitete schon mit 12 Jahren im Bergbau und ihm blieb auch nichts anderes übrig, als unter dem Druck seines äußerst puritanischen Umfelds, in welchem sich auch seine zutiefst religiöse Ehefrau besonders hervortat, wieder dorthin zurückzukehren und die Musik ganz aufzugeben. Als kleine Abwechslung zwischendurch blieb dann noch das Bootlegging und hiermit meine ich nicht frühe, bisher unveröffentlichte Aufnahmen von Louis Armstrong.

Dass es Dock Boggs frühe Songs, „Country Blues“ und „Sugar Baby“, 1952 auf Harry Smiths „Anthology Of American Folk Music“ schafften, änderte für Boggs nach 44 Jahren im Bergbau letztendlich nicht mehr viel, außer der Tatsache, dass er die zweifelhafte Ehre hatte, im nachhinein und unter gerade für das weiße Mittelstands-Amerika interessanten „authentischen“ Gesichtspunkten wieder ausgegraben zu werden. Selten wohl hat ein Begriff besser gepasst als hier, denn als Pete Seegers Bruder Mike ihn der Vergessenheit entrissen hatte, durfte Boggs bei Folkways in den 60ern drei Platten einspielen, nachdem er sich zuerst mal wieder ein Banjo aus dem Pfandhaus geholt hatte. Wenn man sich heute die Aufnahmen anhört, die unter dem Titel „Dock Boggs – His Folkways Years 1963 – 1968“ als Doppel-CD seit einiger Zeit wieder erhältlich sind, dann ist es nicht zu glauben, dass hier jemand nach ewigen Jahren des Dahinvegetierens in einer für ihn zeitlebens unwirtlichen Umgebung noch solch intensive Musik zustande brachte. Seine düsteren Adaptionen afro-amerikanischen und europäischen Liedgutes klingen wie kaum was zwischen Robert Johnson und  Bob Dylan, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass schon der junge Dylan Boggs in sein Herz geschlossen hatte und den alle amerikanischen Seelentiefen auslotenden Spirit von Boggs Musik, in welcher selbstverständlich der oben erwähnte religiöse Aspekt immer mitschwingt, zu einer von mehreren wesentlichen Grundlagen seines eigenen Schaffens und seiner Gesangstechnik machte. Die schneidende Schärfe, die weirde Phrasierung, das andersartige Timing: nicht wenig von Boggs steckte, wie Greil Marcus in „Invisible Republic“ nicht müde wurde zu betonen, in „Like A Rolling Stone“ und den „Basement Tapes“ oder – besonders gut nachvollziehbar und hörbar – in den großartigen, archaisch-rauhen 90er-Jahre-Soloalben Dylans, „Good As I Been To You“ und „World Gone Wrong“, um dann schließlich in der Zeile „I’m smokin’ a cheap cigar“ (die schon in einem frühen Boggs-Song auftaucht) in Dylans „Time Out Of Mind“ als wiedergefundenes Symbol für eine vergessene, entscheidende Ära endgültig sein Denkmal zu erhalten.

So ist es auch kein Zufall, dass Dock Boggs’ Musik das Zentrum und die Achse der jetzt bei Trikont erschienenen CD „Prayers From Hell – White Gospel And Sinners Blues“ bildet, eine Art „Anthology Of American Folk Music“ für mittellose Studenten und Schriftsteller sowie für rastlose Zeitgenossen der Jetztzeit, also für all jene, die zu wenig Geld haben, um sich die teure Box der originalen „Anthology“ zu kaufen oder keine Lust und Muse, sich durch deren 84 Songs zu mühen. Insgesamt natürlich trotzdem unverzichtbar, weil viele der Songs NICHT auf der „Anthology“ zu finden sind und weil Trikont so was immer vorbildlich macht, Digipack, schönes Booklet und ein Greil Marcus-Aufsatz für all diejenigen, die sich durch „Invisible Republic“ nicht mühen wollten. Clever gemacht und anregend zugleich!

Im Niemandsland zwischen verlorener Tradition und gar nicht erst angestrebter Gegenwart, die ja oft erst im nachhinein verstanden werden will, bewegt sich „Secret South“ von 16 Horsepower. Die vom Banjo vorangetriebenen Stücke, wie „Wayfaring Stranger“ oder „Praying Arm Lane“ erinnern sofort an vieles der alten Mountainmusic auf der „Anthology…“ – nicht nur an Dock Boggs, aber gerade auch an ihn. Beim Hören der Platte entsteht das Bild eines düsteren, von einsamen, auf weitem, leeren Feld stehenden schwarzen Baumskeletten durchzogenen Landes in einer imaginären Zeit von Glaubenskriegen, Wanderpredigertum und apokalyptischem Wahnsinn, in welchem sich all die vergangenen Kämpfe und Opfer, Sehnsüchte und Fieberträume auf einmal wiedereinzustellen scheinen, nur um vielleicht ein letztes Mal noch durchlebt zu werden. Die Musik scheint unterirdisch von unerfüllten Wünschen durchzogen, welche genau dann in all jenen Momenten wie wild gewordene Dämonen aus der Vergangenheit hervorzubrechen scheinen, in denen die Stücke laut, unbeherrscht und bahnbrechend für ein Genre wie „Alternative Country“ werden, welches sich ja immer schon gerne selbst Grenzen und Regeln setzte, innerhalb derer solche Ausbrüche wie auf dieser Platte nicht allzu oft vorkommen. Und doch entsteht dieser Eindruck nur unbewußt beim Hören, denn 16 Horsepower haben nichts dem Zufall überlassen: Die Gitarrenwand in „Clogger“, der gehetzt klingende und vollends nach unten weisende Rhythmus und Gesang in „Praying Arm Lane“, die nach letzter Ruhestätte erinnernde, klagende Orgel in „Silver Saddle“, der Streicheranfang und später im Mittelteil die einsame Violine in „Cinder Alley“, sowie in allen Songs die entrückte Stimme von David Eugene Edwards: Das alles zusammen erzeugt einen Sound, seltsam fremd und mir eigentlich ansonsten ziemlich unangenehm, da er Depression und Resignation eher fatalistisch manifestiert als ihr entschlossen entgegentritt – kein Vergleich z.b. zu den letzten großen Wilco-CDs „Being There“ & „Summerteeth“, die ebenfalls das Genre sprengen und stellenweise melancholisch und dunkel sein mögen, aber trotzdem immer nach vorne gerichtet und hoffnungsvoll sind und mir eigentlich zehnmal lieber, und doch ist da mehr als der Unterschied zwischen Licht und Dunkel.

Secret South“ klingt insgesamt wie ein böser und selten da gewesener Retro-Bastard mit einem Gesang nicht weit weg von den besten Momenten eines Tim Buckley, den instrumentellen Amokläufen von Dock Boggs, der kraftvollen Besessenheit von Jeffrey Lee Pierce und seinem Gun Club und der unentdeckt gebliebenen B-Seite einer obskuren, nicht lange existierenden Psychedelik-Band der späten 60er, so dass es schwer fällt, nicht in den Bann dieser Musik zu geraten wie seinerzeit in den von Aberglauben und Fluch. Die Hoffnung aber existiert auf „Secret South“, allem Pessimismus und „Prayers From Hell“ zum Trotz, und sie kommt in dieser schwarzgemalten Umgebung natürlich umso strahlender und intensiver zum Ausdruck, nämlich in der Coverversion von Dylans „Nobody ´Cept You“, einem Outtake von „Planet Waves“: „Used to play in the cemetry/ Dance and sing and run when I was a child/Never seemed strange/But now I just pass mournfully by.” Und: “You’re the one that reaches me/You’re the one that I admire/Every time we meet together/My soul feels like it’s on fire.”

Na denn. Doch noch gerettet. Amen!

 

Rolf Bergdolt