the beat goes on

DSCI0258

 

William S. Burroughs am 31. Mai 1997 in seinem Tagebuch:

„Newt Gingrich, dieser schmierige Salamander. Der Dumpfmann werde bis zum Jahr 2001 ein drogenfreies Amerika schaffen. Was für eine öde Aussicht! Gilt natürlich nicht für Alkohol und Zigaretten. Da wird mit steigendem Konsum gerechnet. Wie erreicht man einen drogenfreien Zustand? Ganz einfach. Die Drogenrezeptoren im Gehirn kann man chirurgisch entfernen. Wer den Eingriff verweigert geht aller Rechte verlustig. Bekommt keine Wohnung vermietet, wird in Restaurants und Bars nicht mehr bedient. Kein Reisepaß, keine Leistungen von der Sozialversicherung, kein Krankheitsschutz, kein Recht auf Erwerb und Besitz einer Schußwaffe.

Wie ich sie alle hasse, die so versessen sind auf Konformität. Was soll denn dabei herauskommen? Man stelle sich die banale Öde eines drogenfreien Amerikas vor. Keine Kokser mehr, nur noch brave, saubere wohlanständige Amerikaner von Ozean zu glitzerndem Ozean. Jeder Widerspruch ausgetrieben und ausgemerzt wie ein Furunkel. Keine Slums. Keine verstohlenen Aktivitäten einer Unterwelt. Kein gar nichts. Jeder Blick auf die Straße eine knallharte Abschreckung. Niemand riskiert noch, einen Brief zu schreiben.

Totale Konformität. Was soll daran gut sein? Was wird aus dem unverwechselbaren Eigenen? Aus der Persönlichkeit? Aus dir und mir?“

 

(SZ Magazin, 10.10. 1997)

 

DSCI0267

 

 

Written In My Soul

 

Exif JPEG

das hier erst mal die lose fortsetzung der glitterhouse-kolumne aus den jahren 2000 und 2001.

die aufwärmrunde an diesem 22.8. 2013 besteht aus eine der ersten kolumnen von 2000.

siehe unten. „korrekturen“ der alten kolumnen wird es keine geben, also bestehende „fehler“ bleiben stehen. möglicherweise gibt’s ergänzungen und fußnoten, aber das weiß ich noch nicht.

 

aktuelles wird es hier so oft wie möglich geben.

hab damals gemerkt, wie es mir zunehmend spaß machte in allen revieren zu hause zu sein. damit meine ich nicht nur musikstile, sondern überhaupt alle „genres“: kunst, politik, techno, film, alter rhythm’n’blues, kinderliedercassetten meiner tochter, fotos, zeitungsartikel usw.

schwerpunkte lassen sich meistens nicht vermeiden, aber wem’s zu einseitig ist kann ja weiterklicken – möglichkeiten gibt’s ja genug. werde natürlich gucken, dass die vielfalt oberstes gebot ist.

der blog insgesamt soll vielleicht sowas wie ne zeitreise sein, die keinen langweilt.

 

Written In My Soul

Februar 2000

Im Niemandsland

 

Als ich Dock Boggs’ Foto in der „Anthology Of American Folk Music“ zum ersten Mal sah, konnte ich mir ganz gut vorstellen, was das für ein Mann und für Zeiten gewesen sein mussten: mit dem Banjo auf dem Knie und dem Revolver in der Schublade auf sich allein gestellt, in einer Welt voller unberechenbarer Glücksritter, heilloser Outlaws und skrupelloser Kohleminen-Besitzer, die keine Gelegenheit ungenutzt ließen, Profit aus der unsteten wirtschaftlichen Lage der Arbeiter zu schlagen, zu denen notgedrungen auch Boggs gehörte. Nachdem er es mit der Musik versucht hatte – was heißt, dass er zwischen 1927 und 1929 ein paar Songs aufnahm, die heute zum knochenhärtesten und brutalsten Material gehören, was die amerikanische Popgeschichte aufzuweisen hat -, war schnell klar, dass aus dem Musiker wieder das wurde, wovor später ein Bob Dylan sein Leben lang wegrannte: ein wenn auch nur unwillig funktionierendes Mitglied einer amerikanischen Bergarbeiter-Gesellschaft, die es sich nicht leisten konnte, Songs über Mörder und Säufer, dargebracht von einem in ihren Augen offensichtlich leicht Wahnsinnigen, in ihren gemeinsamen Kirchen-Kanon zu integrieren. Dock Boggs arbeitete schon mit 12 Jahren im Bergbau und ihm blieb auch nichts anderes übrig, als unter dem Druck seines äußerst puritanischen Umfelds, in welchem sich auch seine zutiefst religiöse Ehefrau besonders hervortat, wieder dorthin zurückzukehren und die Musik ganz aufzugeben. Als kleine Abwechslung zwischendurch blieb dann noch das Bootlegging und hiermit meine ich nicht frühe, bisher unveröffentlichte Aufnahmen von Louis Armstrong.

Dass es Dock Boggs frühe Songs, „Country Blues“ und „Sugar Baby“, 1952 auf Harry Smiths „Anthology Of American Folk Music“ schafften, änderte für Boggs nach 44 Jahren im Bergbau letztendlich nicht mehr viel, außer der Tatsache, dass er die zweifelhafte Ehre hatte, im nachhinein und unter gerade für das weiße Mittelstands-Amerika interessanten „authentischen“ Gesichtspunkten wieder ausgegraben zu werden. Selten wohl hat ein Begriff besser gepasst als hier, denn als Pete Seegers Bruder Mike ihn der Vergessenheit entrissen hatte, durfte Boggs bei Folkways in den 60ern drei Platten einspielen, nachdem er sich zuerst mal wieder ein Banjo aus dem Pfandhaus geholt hatte. Wenn man sich heute die Aufnahmen anhört, die unter dem Titel „Dock Boggs – His Folkways Years 1963 – 1968“ als Doppel-CD seit einiger Zeit wieder erhältlich sind, dann ist es nicht zu glauben, dass hier jemand nach ewigen Jahren des Dahinvegetierens in einer für ihn zeitlebens unwirtlichen Umgebung noch solch intensive Musik zustande brachte. Seine düsteren Adaptionen afro-amerikanischen und europäischen Liedgutes klingen wie kaum was zwischen Robert Johnson und  Bob Dylan, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass schon der junge Dylan Boggs in sein Herz geschlossen hatte und den alle amerikanischen Seelentiefen auslotenden Spirit von Boggs Musik, in welcher selbstverständlich der oben erwähnte religiöse Aspekt immer mitschwingt, zu einer von mehreren wesentlichen Grundlagen seines eigenen Schaffens und seiner Gesangstechnik machte. Die schneidende Schärfe, die weirde Phrasierung, das andersartige Timing: nicht wenig von Boggs steckte, wie Greil Marcus in „Invisible Republic“ nicht müde wurde zu betonen, in „Like A Rolling Stone“ und den „Basement Tapes“ oder – besonders gut nachvollziehbar und hörbar – in den großartigen, archaisch-rauhen 90er-Jahre-Soloalben Dylans, „Good As I Been To You“ und „World Gone Wrong“, um dann schließlich in der Zeile „I’m smokin’ a cheap cigar“ (die schon in einem frühen Boggs-Song auftaucht) in Dylans „Time Out Of Mind“ als wiedergefundenes Symbol für eine vergessene, entscheidende Ära endgültig sein Denkmal zu erhalten.

So ist es auch kein Zufall, dass Dock Boggs’ Musik das Zentrum und die Achse der jetzt bei Trikont erschienenen CD „Prayers From Hell – White Gospel And Sinners Blues“ bildet, eine Art „Anthology Of American Folk Music“ für mittellose Studenten und Schriftsteller sowie für rastlose Zeitgenossen der Jetztzeit, also für all jene, die zu wenig Geld haben, um sich die teure Box der originalen „Anthology“ zu kaufen oder keine Lust und Muse, sich durch deren 84 Songs zu mühen. Insgesamt natürlich trotzdem unverzichtbar, weil viele der Songs NICHT auf der „Anthology“ zu finden sind und weil Trikont so was immer vorbildlich macht, Digipack, schönes Booklet und ein Greil Marcus-Aufsatz für all diejenigen, die sich durch „Invisible Republic“ nicht mühen wollten. Clever gemacht und anregend zugleich!

Im Niemandsland zwischen verlorener Tradition und gar nicht erst angestrebter Gegenwart, die ja oft erst im nachhinein verstanden werden will, bewegt sich „Secret South“ von 16 Horsepower. Die vom Banjo vorangetriebenen Stücke, wie „Wayfaring Stranger“ oder „Praying Arm Lane“ erinnern sofort an vieles der alten Mountainmusic auf der „Anthology…“ – nicht nur an Dock Boggs, aber gerade auch an ihn. Beim Hören der Platte entsteht das Bild eines düsteren, von einsamen, auf weitem, leeren Feld stehenden schwarzen Baumskeletten durchzogenen Landes in einer imaginären Zeit von Glaubenskriegen, Wanderpredigertum und apokalyptischem Wahnsinn, in welchem sich all die vergangenen Kämpfe und Opfer, Sehnsüchte und Fieberträume auf einmal wiedereinzustellen scheinen, nur um vielleicht ein letztes Mal noch durchlebt zu werden. Die Musik scheint unterirdisch von unerfüllten Wünschen durchzogen, welche genau dann in all jenen Momenten wie wild gewordene Dämonen aus der Vergangenheit hervorzubrechen scheinen, in denen die Stücke laut, unbeherrscht und bahnbrechend für ein Genre wie „Alternative Country“ werden, welches sich ja immer schon gerne selbst Grenzen und Regeln setzte, innerhalb derer solche Ausbrüche wie auf dieser Platte nicht allzu oft vorkommen. Und doch entsteht dieser Eindruck nur unbewußt beim Hören, denn 16 Horsepower haben nichts dem Zufall überlassen: Die Gitarrenwand in „Clogger“, der gehetzt klingende und vollends nach unten weisende Rhythmus und Gesang in „Praying Arm Lane“, die nach letzter Ruhestätte erinnernde, klagende Orgel in „Silver Saddle“, der Streicheranfang und später im Mittelteil die einsame Violine in „Cinder Alley“, sowie in allen Songs die entrückte Stimme von David Eugene Edwards: Das alles zusammen erzeugt einen Sound, seltsam fremd und mir eigentlich ansonsten ziemlich unangenehm, da er Depression und Resignation eher fatalistisch manifestiert als ihr entschlossen entgegentritt – kein Vergleich z.b. zu den letzten großen Wilco-CDs „Being There“ & „Summerteeth“, die ebenfalls das Genre sprengen und stellenweise melancholisch und dunkel sein mögen, aber trotzdem immer nach vorne gerichtet und hoffnungsvoll sind und mir eigentlich zehnmal lieber, und doch ist da mehr als der Unterschied zwischen Licht und Dunkel.

Secret South“ klingt insgesamt wie ein böser und selten da gewesener Retro-Bastard mit einem Gesang nicht weit weg von den besten Momenten eines Tim Buckley, den instrumentellen Amokläufen von Dock Boggs, der kraftvollen Besessenheit von Jeffrey Lee Pierce und seinem Gun Club und der unentdeckt gebliebenen B-Seite einer obskuren, nicht lange existierenden Psychedelik-Band der späten 60er, so dass es schwer fällt, nicht in den Bann dieser Musik zu geraten wie seinerzeit in den von Aberglauben und Fluch. Die Hoffnung aber existiert auf „Secret South“, allem Pessimismus und „Prayers From Hell“ zum Trotz, und sie kommt in dieser schwarzgemalten Umgebung natürlich umso strahlender und intensiver zum Ausdruck, nämlich in der Coverversion von Dylans „Nobody ´Cept You“, einem Outtake von „Planet Waves“: „Used to play in the cemetry/ Dance and sing and run when I was a child/Never seemed strange/But now I just pass mournfully by.” Und: “You’re the one that reaches me/You’re the one that I admire/Every time we meet together/My soul feels like it’s on fire.”

Na denn. Doch noch gerettet. Amen!

 

Rolf Bergdolt

Joe Strummer Revisited

hab ja schon lang keine clash mehr gehört.

erst vor kurzem fiel mir aber wieder ein altes tape in die hände, welches unter all den anderen tapes halt so rumlag wie unbenutzte spielsachen, ungelesene bücher und verblichene fotos längst verblichener lieben. wo sind die alle hin, was ist aus ihnen geworden? ich wünsche allen viel glück und ein langes leben.

hatte joe strummer ja nur bedingt, aber das ist ja bei allen irgendwie so. wann ist denn der richtige zeitpunkt gekommen, um zu gehen? damit dass hier kein toten-blog wird, wo auch noch fritz rau meinte jetzt sei wohl der zeitpunkt gekommen, komme ich gleich auf das tape. „super black market clash“ heißt es und versammelt allerlei obskures und unveröffentlichtes aus den goldenen jahren der band, die es ja auch schon ganz lang, aber schon ganz lang nicht mehr gibt.

die musik ist aber lebendig, aktuell und zeitlos wie ein sommergewitter, ein kühles bier und ein bester freund. joe strummer wird sowieso unsterblich bleiben, the clash ebenso, nur wieso klingen all ihre aufnahmen auch 2013 im gegensatz zu vielen – sehr ehrenwerten – versuchen von all den artic monkeys bis zu franz ferdinand oder pete doherty, es ihnen irgendwie gleichzutun allesamt so bieder? stimmt ja auch nicht, vieles davon ist ja auch gut und ich liebe die musik.

so wie z.b. die von der band wheat. kenne ich nur, weil ich 1999 mit meinem freund george ein konzert von ihnen in irgendeinem schuppen in der londoner innenstadt besucht habe. nein, stimmt natürlich nicht, ich bin ja nur hingegangen, weil ich ein album der gruppe schon 1998 gekauft hatte. das konzert war sehr gut, leider aber ausgesprochen kurz. kommt davon, wenn man nach feierabend ewig lang rumtrödelt, erstmal eine flasche wein zum guten essen trinken muss und dann ungefähr 12 lieder zu spät kommt.  so drei oder vier Songs waren schon geil. aber schön blöd, wenn man dafür noch 7,50 pfund zahlt. es roch auch irgendwie nach gras in dem laden. die musik, sprich das album – weil zum professionellen konzertgehen (also ca. schon 10 stunden vor eintreffen der band am spielort sein, autogramme sammeln und darauf warten, dass ein versiffter club endlich die tür aufmacht) waren wir ja an diesem abend zu doof – gefiel mir außerordentlich gut, auch das album, hab ich aber vielleicht zweimal angehört. der fluch des plattensammlers: man hortet schätze an wie ein wahnsinniger, die nur andere wahnsinnige zu schätzen wissen und vergisst sie irgendwann in all dem trubel von zeit, alltag und dasnochtunmüssen und nurdasjanichtvergessen dürfen. der wirkliche wahnsinn eben. dagegen sind plattensammler, esoteriker, imbissbudenbesitzer und gäste schützenswerte gesellen und biotope der reinen vernunft.

schön und beruhigend ist es zu wissen, dass das gute schöne vinyl noch heute in meinem plattenschrank steht und darauf wartet, nach all den jahren endlich wieder entjungfert zu werden. ist das ein komischer satz:

„die schallplatte ist wie eine jungfrau. erst küsst sie dich, dann beisst sie dich und dann macht sie dir auch noch das abendessen.“

hm. macht zwar null sinn, kling aber gut. so wie wheat, womack & womack, wonderwall, wosindalldiemädchenhin, was ist geschehn und w wie wahnsinn. siehe oben

ist es denn wahnsinniger, 746 bob dylan-bootlegs zu besitzen oder philipp rösler zu wählen??? oder für ein neil young-konzert meinetwegen bis montreux zu fahren, weil es in der schweiz sowieso die schönsten mädels gibt oder sich das ganze leben lang zu überlegen, wie man es am langweiligsten rumbringt, sprich wie man also banker, politiker, aktionär, reaktionär, universitätsprofessor oder deutscher michel wird.

 

jaja. bald isses wieder soweit. der deutsche darf wählen. ich weiß nicht, was er sich wieder schauderhaftes, unerträgliches und kaum noch steigerbares an unvernunft leisten wird am 22. 9., aber ich weiß nur: wer im super black market clash eingekauft hat, der kann das alles nicht mehr wählen.

 

der oder sie fährt raus mit dem auto an den badeweiher, haut das tape in den rekorder und denkt sich, es sei 1979. oder von mir aus 1981. und was danach kam wissen wir ja alle. der fettsack aus oggersheim, der autofritze aus hannover und eine visage des grauens aus dem osten, die der westen nach all dem bösen, was er angestellt hat, auch wahrlich verdient hat.

und dann stellt man fest, es ist 2013, die welt ist entgegen aller voraussagen nicht untergegangen und es ist alles immer genauso lustig und beschissen, wie es halt immer war.

insofern streiche ich noch nicht die segel.

man weiß ja nie, was noch kommt. vielleicht verpasst man was.

joe strummer wäre gestern 61 jahre alt geworden.

Exif JPEG Exif JPEG

Joe_stummer_fresque Joe_Strummer_1952_PL

 

Konzertveranstalter Fritz Rau gestorben

Fritz Rau hat mit allen großen Stars der Rock- und Popmusik Konzerte veranstaltet, darunter die Rolling Stones, Jimi Hendrix, Bob Dylan, Queen, Michael Jackson und vielen anderen mehr. Am Montag starb Rau an den Folgen eines Schlaganfalls.

Zusammen mit seinem Partner Horst Lippmann hat Rau die Stars des Jazz, Blues und der Popmusik auf die deutschen Bühnen geholt und damit die deutsche Musiklandschaft geprägt. Die Frankfurter Agentur Lippmann und Rau war in den 70er und 80er Jahren der Branchenprimus.

„Die Welt hatte einen Anwalt weniger und einen Kartenverkäufer mehr“, so beschreibt Fritz Rau seine Entscheidung, den Anwaltsberuf an den Nagel zu hängen und professioneller Veranstalter zu werden. Das war 1955. Vom Jazzvirus infiziert ist er da schon lange. „Das Jazz ist für mich die Musik der Freiheit, der Menschlichkeit“, sagte Rau einst. In Heidelberg veranstaltete er Konzerte und hat den Jazzclub Cave 54 mit gegründet. Dann lernte Fritz Rau die Brüder Emil und Albert Mangelsdorff sowie den Konzertmacher Horst Lippmann kennen. Der bot ihm an, zusammen eine Konzertagentur aufzubauen.